Unser Mindset, festgefügte Erwartungen aufgrund von Erfahrungen, Vorbildern, Annahmen, Vorurteilen richten unsere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit auf HerVORragendes, HerausRAGENDES. Dies können Farben, Pflanzen, Töne und Laute sein, das Wettergeschehen oder auch die Schwingungen unserer Mitmenschen.

Mit meinen Studierenden und Klienten in der FührungsKRAFT-Entwicklung übe ich regelmäßig den 180° Blick. Hierbei geht es grundsätzlich um Wahrnehmung und Erfahrung und das damit verbundene Mindset.

Manche unvorbereiteten Menschen schauen beispielsweise auf ein Glas mit darin enthaltener leicht sprudelnder rostroter Flüssigkeit und urteilen in Sekundenschnelle über den Inhalt: Roseweinschorle, Johannisbeersirup-Schorle, abgestandener Rosésekt, Sanbitter Soda, etc.

Keiner meiner unvorbereiteten Probanden kommt bei solchen Experimenten im ersten Anlauf auf die Idee, dass es sich um ein karbonisiertes Mineralwasser mit Lebensmittelfarbe oder etwas anderem handeln könnte.

Unser Mindset, also die in unserem Gehirn festgefahrenen Verbindungsbahnen lassen uns urteilen. „Hassprediger oder Friedensstifter: Wer willst du ab morgen sein?“ fragten sich der Interviewee, Gerald Hüther und sein Interviewer in einer TV-Sendung im Jahre 2017. „Unsere Hirnfunktionen sind, wie wir wissen, nicht nur, wie die des Herzens und der Leber durch Naturgesetze deterministisch bestimmt“(Malzacher, 2021, S.7). Der Neurobiologe Hüther ist davon überzeugt, dass, weil unsere Handlungen unbewusst vorbereitet und angestoßen werden, wir von einem Dominoeffekt bzgl. unserer Handlungen sprechen könnten. Es sind unsere automatisierten Gehirnverbindungen, welche am schnellsten funktionieren, agieren und zu Urteilen verführen. Einige (ca. 7) Sekunden später, was als eine sehr lange Zeit in den natürlichen Gehirnverbindungen ablaufenden Prozessen gesehen wird, kommt unsere Kognition ins Spiel und wir bestimmen unsere Aktion oder Reaktion.

Wir haben einen „freien Unwillen“, wie der Gehirnforscher John-Dylan Haynes durch Experimente belegte.

„Man weiß generell, dass Menschen nicht gut darin sind, zu sagen, warum sie sich auf eine bestimmte Art und Weise entschieden haben. Wir handeln oft intuitiv, ganz oft können wir gar nicht die Gründe angeben, warum wir eine Entscheidung gefällt haben, und selbst wenn wir diese Gründe angeben, sind sie oft falsch, wie sich zeigt.“ (Haynes, 2016)

Wir sind nicht „halt so“, vergleichbar mit instinktgetriebenen Tieren. Stattdessen sind wir so, weil wir unser Verhalten durch Denken und Nach-Denken, also Reflektieren beeinflussen können.
Wenn wir also von Mindset reden, reden wir darüber, wie wir durch Bildung, sich kognitiv Einlassen, Lernen-Wollen und der damit einhergehenden Reflexion unser Gehirn gebaut haben. Menschen sind für ihre eigenen Gehirnaktivitäten selbstverantwortlich auf der Basis individueller biologischer Fähigkeiten. Ebenso wie wir selbst für unser Wohlergehen verantwortlich sind auf der Basis unserer Schicksalseinflüsse (Malzacher, 2021, S.21-27), wozu auch unsere Herkunft gehört, sind wir verantwortlich für unsere Nachkommen. Diese sind wiederum im Erwachsenenalter verantwortlich für ihr eigenes Wohlergehen.
Werden wir dann Führungspersonen in Betrieben und damit verantwortlich für Produktqualität, Umsatz und Gewinn, sind wir ebenso verantwortlich für die Menschen, die für uns und unter uns arbeiten und das ganze zugehörige Team. Sehen wir uns als Team, spannen wir uns alle vor einen einzigen Wagen und sind für dessen Funktionieren verantwortlich.
Es ist und bleibt damit die Frage nach den Grenzen unserer Verantwortung und der geteilten Verantwortung für das Gelingen des Gesamten. Auch Mitarbeitende haben Verantwortung für ihr Verhalten im Unternehmen. Dabei agieren alle auf der Basis einer Unternehmensmoral, die sich wiederum im Verhalten aller zeigt „Das Moralische ist keine göttliche, sondern eine rein menschliche Angelegenheit“, sagte Albert Einstein (vgl. Gigerenzer, 2007, S.191)
Alle Mitglieder in einer Familie, im Freundeskreis, Verein und Club, Parlament einer Regierung oder in einem Konzern tragen Verantwortung durch ihre anerkannte Mitgliedschaft. Sind wir selbstgewählte oder erkorene Mitglieder einer Gemeinschaft, Familie, eines Vereins haben wir uns zu einer Art der emotionalen und rationalen Verantwortung entschlossen.
Sind wir ansonsten nicht nur hirnlose Mitläufer?
In seinem Buch Bauchentscheidungen erwähnt Prof. Gigerenzer den englischen Rechts- und Sozialreformer Jeremy Betham (1748-1832). Dieser empfahl Leitplanken des modernen Konsequentialismus und begründete damit ein Moralsystem für demokratische Einstellungen. Die Kant’sche Ethik stünde im Konflikt mit dem des Jeremy Betham. Bauchgefühle seien nicht mit rational berechnendem Entscheiden gleichzusetzen (vgl. Gigerenzer, 2007, S, 216-217).
Geht ein Leben in Ihrer Welt ohne moralische Grundgefühle?
Gibt es Menschen ohne Verantwortung?
Ihr Mindset wird es Ihnen verraten.
Aus welcher Position hören Sie anderen zu?
Weiterführende Literatur
Gabriel, M (2017) ICH ist nicht Gehirn, Berlin: Ullstein
Gabriel, M (2025) Gutes Tun – Wie der Ethische Kapitalismus die Demokratie retten kann, Berlin: Ullstein
Gigerenzer, G (2007) Bauchentscheidungen – Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, München: C. Bertelsmann
Haynes, J-D (2016) Neue Erkenntnisse zur Willensfreiheit: Wie das Gehirn entscheidet. In Matthias Eckoldt https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-erkenntnisse-zur-willensfreiheit-wie-das-gehirn-100.html
Malzacher, J (2021) Mit ICH-KULTUR zum privaten und beruflichen Erfolg- Persönlichkeitsbildung neu erklärt, Wiesbaden: Springer