Ein kleiner Knall, ein sauer süßes Zischen, die knackige Schale einer roten Johannisbeere zerplatzt auf meiner Zunge. Meine Augen blinzeln auf die mit prallem Rot beladenen Zweige des Strauches in meinem sonnigen Garten. Ich spüre mein kleines Glück über die volle Pracht meiner Lieblingsfrüchte. Meine Gedanken fließen.
Noch ein paar Tage, dann ist dieser Garten nicht mehr mein Garten. Noch ein paar Tage, dann werde ich meinen, mit Liebe gepflanzten Sträuchern Lebewohl sagen und sie anderen pflegenden Händen überlassen. Ich lasse meinen Garten hinter mir und breche auf in eine neue Lebensphase. Dabei vertraue ich, dass sich der neue Gartenbesitzer ebenso hingebungsvoll um meine einstigen Pflanzenschützlinge kümmern wird. Ich werde ruhig weggehen, zuversichtlich, dass sich meine Schützlinge in der Hand des neuen Mieters geborgen fühlen werden. Sicher bin ich, dass der neue Mieter sich selbst geborgen fühlen wird in der Gegenwart dieser Natur. Er darf sich freuen an den vielen kleinen und großen Blüten der Sträucher im Frühling, die nicht nur hübsch aussehen, sondern auch Sichtschutz bieten. Er wird sich freuen über das Vogelgezwitscher ringsherum und die prachtvollen Rosen im Sommer. Dazwischen ein Quittenbäumchen, meine Beerensträucher neben Duftschneeball und Sommerflieder. Wenn er die Augen dafür hat, kann er diese Schmetterlingsidylle genießen.
Und meine Beerensträucher, die pralle Evidenz verlässlich wiederkehrenden Lebens? Jetzt sind sie erwachsen. Sie brauchen nur noch eine liebevolle Umgebung. Fest verwurzelt können sie alleine stehen, Wind und Wetter trotzen und wieder jedes Jahr von neuem in der Junisonne ihre Pracht entfalten bis sie pünktlich zu Johannis ihrem neuen Besitzer ihre Früchte schenken. Jetzt lasse ich sie – los.
Zuversicht
Loslassen ist ein schwieriger Prozess. Mentales Loslassen hat mit Zuversicht und Vertrauen zu tun in das Geschehende. Mentales Loslassen ist ein von uns aktiv eingeleiteter Prozess. Immer ist es mit einer Art von Schmerz verbunden. Unser Gehirn mag die Routine, Veränderung kommt ihm nicht leicht zupass. Doch es kann sich verändern, Gedanken können sich verändern. Dennoch lieben Menschen Gewohnheiten. Viele Menschen fühlen sich sicher in erwarteter Beständigkeit, die sich in verlässlichen Abläufen zeigt.
Beschäftigen wir uns nicht nur dann mit der Idee, etwas mental und emotional loszulassen, wenn sich ein stetiger emotionaler oder körperlicher Schmerz in uns zeigt? Menschen halten einen solchen Schmerz unterschiedlich lange aus. Ebenso unterschiedlich reagieren sie auf ihn.
In meinem bisherigen Leben konnte ich emotionalen und körperlichen Schmerz lange aushalten. Dann kam der Zeitpunkt, wo es so wehtat, dass ich einfach loslassen musste, ohne Zuversicht in das Neue. Soweit müssen wir es nicht kommen lassen! Wir haben unsere Gefühle, auf die wir hören sollten und spüren, wann etwas zu viel für uns wird.
Ohne Loslassen des Alten hat das Neue es nicht leicht, sich zu etablieren, hat Heilung keine Chance.
Mein kluger Sohn ließ neulich von einem gut bezahlten Job ab, der ihn aus vielen Gründen emotional belastete. Er vertraute auf sein Gefühl und ich bestärkte ihn darin. Die Entscheidung machte er sich nicht leicht, viele Tage und Nächte wägte er ab, um immer wieder zurückgeleitet zu werden auf sein Bauchgefühl. Heute hat er eine neue, interessante und vielversprechende Position.
Michael Merzenich, einer der führenden Gehirnforscher spricht über das ICH als den Interpretierenden von Geschehnissen und der Wichtigkeit dieser. Wir entscheiden, was wir glauben und wir können unsere Gedanken verändern.
www.youtube.com/watch?v=yUqd2SObn6Y
Vor Jahren traf ich im Rahmen einer Personalentwicklungsmaßnahme einen Klienten mit extrem schlechtem Gewissen. Als Perfektionist fühlte er sich für alles und jedes im Unternehmen verantwortlich. Zusätzlich verhinderte sein Schuldgefühl wirkliche Glücksgefühle. Er fühlte sich schuldig, weil er vor vielen Jahren auf sein Gefühl gehört hatte und ins Ausland ging, statt bei seiner Partnerin zu bleiben. Diese hatte sich geweigert mitzugehen. Unter ihrem klaren Nein zu seiner Entsendung litt er sehr. Schließlich machte er sich alleine auf. Er war zufrieden in dem fernen Land. Glücksgefühle kannte er jedoch nicht. Der Kontakt zu seiner Partnerin wurde immer spärlicher. Später stellte sich heraus, dass die Frau in ihrer Beziehung mit ihm nicht zufrieden und vor seiner Entsendung in einer neuen Liebesbeziehung gewesen war. Sein schlechtes Gewissen blieb. Nach einigen Jahren kam er zurück und begann eine neue Arbeit in einer anderen Stadt. Als wir zusammen das Thema Eigenführung behandelten, erzählte der Klient über seine Gefühle, seine Vorstellung von Verantwortung und Pflichterfüllung. Es stellte sich heraus, dass er sich für Dinge verantwortlich fühlte, die ihn häufig weder persönlich noch beruflich betrafen.
Langsam wurde ihm klar, dass es in seinem Denken blinde Flecken gab, etwas sehr gut Verstecktes, welches ihn davor abhielt, sich frei und glücklich zu fühlen. Stattdessen bedauerte er sich zuweilen, resignierte gar und glaubte, dass er für ein glückliches Leben nicht auserkoren war. Er hatte es sich in seinen Schuldgefühlen bequem gemacht. Zudem hatte er Schwierigkeiten, sich abzugrenzen. Einmal eingeschlagene Denkpfade zu verlassen, war für ihn keine Option. Er hatte entschieden, seinem Gehirn keine Veränderungschance zu geben. Wertvolle Lebenszeit hatte er verstreichen lassen, statt zu neuen Ufern aufzubrechen.
Wir haben die Wahl
Etwas Kostbares, ein Juwel ist unser Leben. Wir alle möchten gut leben. Zu all den, hin und wieder dysfunktionalen, Glaubenssätzen wie „Sei stark“, „Mach schneller“, „Sei perfekt“, „Mach es den Anderen recht“ und „Du bist schuld“ etc. habe ich meinen Glaubenssatz gefügt „Lass Los, damit du genießen kannst“.
Loslassen und genießen bedeutet für mich nicht, unverantwortlich zu sein. Im Gegenteil. Erst, wenn wir uns eigenverantwortlich fragen, ob uns eine Situation, eine Bekanntschaft oder eine Tätigkeit grundsätzlich gut tut, können wir bewusst loslassen und den Prozess aktiv einleiten. Unser mentaler Status wird sich ändern, denn wir werden uns selbst bewusster. Und damit selbstsicherer. Wir können uns entscheiden, indem wir eine bewusste Wahl treffen, konsequent handeln und schließlich für andere, im Rahmen unserer persönlichen Möglichkeiten, da sein.
Meine Wahl für mein Leben ist schon immer, aktiv zur Lösung schwieriger Umstände beizutragen. Hierzu zählte lange Zeit eher die Sorge für andere. Um meinen 40.Geburtstag erkannte ich, dass es ich persönlich war, die sich Schwierigkeiten manchmal aussuchte und sogar in ihr Leben einlud.
Als beobachtender uneingeschränkter Helfertyp mit Motivationstalent war ich stetig für andere aktiv. Heute lebe ich meinen Analytiker und Motivator mehr, bin eher Detektiv für meine Kunden und Freunde statt ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Kontinuierlich bin ich, frei nach Uwe Böschemeyer in „Du bist viel mehr“, ein erwachsener Helfer geworden und liebe es, in meinem Beruf Menschen zum Leben ihrer Potenziale zu motivieren. Ich treffe bewusste Entscheidungen für mein Leben. Meine Entscheidungen erzähle ich Menschen, die meine Erklärung möchten. Ich stehe für Transparenz. Nicht mehr automatisch halte ich mich zurück, eine möglicherweise gegensätzliche Meinung zu äußern der Harmonie wegen. Dennoch verabscheue alles, was ich als ungerecht empfinde. Verträgliche Kommunikation mit Empathie ist mir wichtig.
Meinen Lebensgenuss schöpfe ich aus Offenheit für Neues, zuversichtlichem Unternehmergeist und der uneingeschränkten Liebe für die Natur und die Menschen als ein Teil davon. Zumeist fühle ich mich wohl in meiner Haut. An meiner ICH – KULTUR® baue ich weiter.
www.springer.com/de/book/9783658215057
Nun ist mein Beerenkörbchen gefüllt mit meinen Lieblingsfrüchten. Nächste Woche ist Johannis und mein Geburtstag. Keine Frage, mein Kuchen wird geschmückt sein mit den knackig, vor Lebensfreude strotzenden roten Beeren und einem grünen Blatt.